Warum der Begriff Matriarchat:Hinsichtlich der Verwendung des Begriffs „Matriarchat“ herrscht eine begriffliche Verwirrung, die teilweise auf den problematischen Gebrauch des Begriffs „Gynaikokratie“ (Frauenherrschaft) durch J.J. Bachofen zurückgeht, welcher fälschlich mit dem Begriff „Matriarchat“ gleichgesetzt wurde. „Frauenherrschaft“ im patriarchalen Sinne von „Herrschaft“ hat es jedoch nie gegeben.
Jedoch hat es Matriarchate oft, zahlreich, in verschiedener Ausprägung und während langer Zeiträume der menschlichen Kulturgeschichte gegeben und es gibt sie immer noch.
Nicht alle WissenschaftlerInnen, welche die Moderne Matriarchatsforschung vorwärts treiben, benennen die matriarchale Gesellschaft als „matriarchal“. Es gibt Bezeichnungen wie „matrifokal“, „matristisch“, „matrizentrisch“ oder „gylanische“ Gesellschaft. Doch unabhängig von der gewählten Bezeichnung stimmen sie alle darin überein, daß es sich um eine Gesellschaftsform handelt, die keine patriarchalen Herrschaftsmuster hat und einen hohen Grad von Ausgewogenheit und Balance aufweist.
Heide Göttner-Abendroth hat sich bewußt für den Begriff „Matriarchat“ entschieden und sie erklärt die Bedeutsamkeit und die guten Gründe für diese Bezeichnung folgendermaßen:
- Der Begriff „Matriarchat“ ist allgemein bekannt. Er ist ein Begriff der Umgangssprache geworden, viele ForscherInnen verwenden ihn und auch indigene WissenschaftlerInnen haben ihn für ihre matriarchalen Gesellschaftsformen übernommen.
- Es ist nicht immer hilfreich, neue wissenschaftliche Ersatzbegriffe zu erfinden, denn sie sind künstlich und haben keine Verbindung zur Umgangssprache. Meist sind sie in ihrer Aussagekraft auch zu schwach und zu eng und ein reduzierter Blickwinkel auf diese Gesellschaftsformen kann entstehen, der das vielfältige Netz von Verwandtschaftstypen und die komplexen sozialen und politischen Beziehungen, die für diese Gesellschaft typisch sind, vernachlässigt.
- Deshalb ist eine philosophische und wissenschaftliche Re-Definition sinnvoller. Durch diese neue Definition gewinnen diese allgemein bekannten Begriffe eine neue, klarere und umfassendere Bedeutung als in der bisherigen Umgangssprache. Doch genau diese wird dann in weiterer Folge von den re-definierten Begriffen wieder beeinflußt. Dies ist im Falle des meist unsachlich gebrauchten Begriffs „Matriarchat“ ein großer Vorteil, besonders für Frauen. Denn diesen Begriff wieder zurückzufordern würde für sie bedeuten, das Wissen über Kulturen wiederzugewinnen, die von Frauen geschaffen wurden.
- In sprachlicher Hinsicht ist die übliche, mit Vorurteilen und Missverständnissen beladene Übersetzung, wie ich oben bereits angeführt habe, ebenfalls überholt.
- Bei den Ersatzbegriffen geht die politische Reichweite und Bedeutung des Begriffes „Matriarchat“ verloren. Bei der bewußten Übernahme der re-definierten, geklärten Bedeutung zeigen sich dadurch die matriarchalen Werte einer bedürfnisorientierten, friedfertigen, gewaltfreien Gesellschaftsform.
In matriarchalen Gesellschaften leben matriarchale Frauen und matriarchale Männer und ihr Leben ist geprägt von ihrem großen Respekt und ihrer hohen Achtung und Wertschätzung allem Lebendigen gegenüber.
„Am Anfang, am Ursprung die Mütter“ – diese Tatsache, daß am Beginn jedes Lebens eine Mutter steht – ob nun eine Menschenfrau, eine weibliche Tiermutter oder die Erde als Mutter der Natur, zu der auch wir Menschen gehören – diese Fähigkeit des Weiblichen, das neue Leben in ihrem Körper wachsen zu lassen und zu schenken wurde von den Menschen seit Anbeginn verehrt.
Quelle: "Am Anfang die Mütter - Matriarchale Gesellschaft und Politik als Alternative" von Heide Göttner-Abendroth