Das war die Magie der Mondtänze, überhaupt aller Tänze in matriarchalen Kulturen. Die Menschen tanzten für die Vollmondin, priesen ihre Fülle und Schönheit und feierten bei ihrem Erscheinen die Liebesfeste. Dramatisch war dagegen der Tanz für die Schwarzmondin oder gar bei Mondfinsternis, denn dann zeigte die Göttin ihr zyklisches Sterben.
Dieser Tanz war eine Beschwörung zur Wiederkehr der Mondgöttin und währte so lange, bis sie tatsächlich wieder erschien. Auch dann wurde weitergetanzt, um ihr zunehmendes Licht zu begleiten. Dies konnte nächtelang dauern, und es war wichtig, pausenlos und mit aller Kraft zu tanzen, was bis zur Trance, Ekstase und völligen Erschöpfung führte.
Da die Menschen auf diese Weise die Mondgöttin in Tod und Wiederkehr begleiteten, waren sie überzeugt, daß die Göttin auch ihnen die Wiederkehr aus jedem Tod schenken würde. Das menschliche Dasein galt als eine Kette von Abstieg und Aufstieg, Tod und Wiederkehr über das individuelle Sterben hinaus. Es war im phasenweisen Wechsel von Leben, Tod und Wiedergeburt ewig wie das der Göttin, die bei vielen Völkern asudrücklich "die Ewige" hieß. Tod als unverrückbares Ende - diese traurige patriarchale Idee - gab es bei ihnen nicht.
Die Fähigkeit, menschliches Leben dauernd wiederkehren zu lassen, besitzen die Frauen. Sie haben nicht nur die Phasen der Fruchtbarkeit, die den Zyklen der Mondin gleichen ("Menses", d.h. Maß des Mondes), sie bringen auch neues Leben in genau neun Monatszyklen hervor. Dieses neue Leben, das sie gebären, war nach der Auffassung matriarchaler Kulturen nicht ein einmalig individuelles, sondern stets kehrte im Kind ene verstorbene Ahnin oder ein Ahn ins Leben zurück.
Während ihrer Abwesenheit vom Diesseits weilten ihre Seelen in den Armen der Mondin oder in den Flügeln der Göttin der Nacht, oder sie besäten als Sterne ihren Leib. Selig warteten sie auf ihre Wiedergeburt.
Daher waren die Frauen die Töchter der Mondgöttin und ihr Abbild, denn sie taten es ihr gleich. Sie sorgten dafür, daß der Tod jedes Menschen durch Wiedergeburt fortwährend überwunden wurde. Darin waren sie eins mit der Göttin und besaßen ihre Kräfte.
Bei manchen matriarchalen Völkern war es deshalb zweifelhaft, ob Frauen überhaupt sterben. Es hieß, daß sie sich im Alter in die Einsamkeit zurückzögen und dort ihre Haut abwerfen würden, wie die Mondin ihre schwarze Hülle oder die Schlange eine zu enge Haut. Dann kehrten sie jung und frisch wieder zurück. Die Mythen vom Jungbrunnen oder der Altweibermühle, in die alte Frauen hineingehen, um jung wieder herauszukommen, haben dort ihren Ursprung.
Frauen taten einfach alles, was die Mondgöttin auch tat. Als Erfinderinnen der Pflanzenzucht und des Ackerbaus machten sie die Erde durch Bewässerung fruchtbar und ließen die Pflanzen wachsen. Sie hatten Macht über Wind, Donner, Blitz und Regen und galten als Wettermacherinnen wie die Mondin. Sie waren als Kennerinnen der Pflanzenheilkunde die Hüterinnen von Gesundheit und Krankheit wie die Göttin.
Sie maßen nach der Mondin die Zeit und gaben den Menschen mit der Entwicklung des Mondkalenders die erste Zeiteinteilung. Sie waren die Erfinderinnen des Spinnens und Webens und spannen wie die Mondgöttin, die Große Spinnerin, auf magische Weise die Fäden und Gewebe des Lebens.
Was die Göttin im Himmel tat, taten sie auf der Erde. Wie die Dreifaltige Mondgöttin die Bestimmerin des Schicksals aller Wesen war, älter als alle später aufkommenden Götter, so waren es zuerst die Frauen, die das Schicksal der Menschheit durch die frühesten, grundlegenden Kulturschöpfungen bestimmten.
(Quelle: "Die tanzende Göttin" von Heide Göttner-Abendroth)